August 2018

HAMBURGER WIRTSCHAFT 08 / 18  IM FOKUS 65 FINANZEN und gesellschaftlichen Auswirkungen sind gravierend, werden sich aber erst nach und nach zeigen. Ein möglicher Aus- weg wäre, den Bürgern als Standard eine obligatorische kapitalgedeckte Altersvor- sorge mit Opt-Out-Möglichkeit vorzuge- ben. Solange dies nicht der Fall ist, gilt es, das Thema ins Bewusstsein zu rufen. Um gerade junge Leute für die Beschäftigung mit der abstrakten Thematik von Vor- sorge und Finanzanlage zu sensibilisie- ren, ist der Finanzplatz Hamburg e. V. ei- nen ungewöhnlichen Weg gegangen: In Zusammenarbeit mit dem bekannten Hamburger Poetry-Slammer David Fried- rich ist ein sehenswertes – durchaus mit einem Augenzwinkern zu verstehendes – Video entstanden: „Nicht übertreiben, aber ernst nehmen: Vorsorge für Deine Lebensgeschichte.“ David Friedrich macht sich dabei Gedanken, was man mit 5 Euro alles anstellen kann – er hätte „so was von vorgesorgt“. Zur Motivation sagt Reiner Brügge- strat, Vorstandsmitglied und Vorsitzen- der des Arbeitskreises Marketing des Fi- nanzplatz Hamburg e. V.: „Die meisten jungen Leute lesen heutzutage keine Flyer oder Broschüren mehr. Dagegen sind YouTube-Videos und vor allem Video-Tu- torials das Medium der Stunde. Auch wir möchten diesen Kanal nutzen, um unsere Zielgruppe zeitgemäß und auf Augen- höhe zu erreichen.“ Dabei erschien die geistreiche und witzige Darbietung durch einen Poetry-Slammer als jugendliches Stilelement besonders geeignet. Die Resonanz auf das Video ist bis- lang durchweg positiv, so Brüggestrat, der damit auch eine Hoffnung verknüpft: „Wenn ein Bewusstsein geschaffen ist, kann es sehr nachhaltig wirken und den Einstieg in einer längerfristige und tiefere Beschäftigung bewirken.“ ILLUSTRATION: EVA REVOLVER / SEPIA Jörn Le Cerf joern.lecerf@hk24.de Telefon 36138-360 Unter www.finanzplatz-hamburg.com finden Sie das Video von David Friedrich ( bit.ly/finanzlinks ). Informieren Sie sich O b von der Bundesbank zu privaten Haushalten und ihrer Vermögens- position, vom Credit Suisse Re- search Institute zum globalen Wohlstand oder von EUROSTAT zumFinanzvermögen – stets liegt das Vermögen der Bundesbür- ger im europäischen Vergleich eher am Ende der Skala. Während die Deutschen 2016 beimFinanzvermögen nur einenWert von 183 Prozent des nationalen Bruttoin- landsprodukts erreichten, lag dieser in den Niederlanden bei 332, in Dänemark bei 298 und im Durchschnitt der EU bei 227 Pro- zent. Die Studien sind differenziert zu be- trachten, teilweise fließen beispielsweise Ansprüche aus der gesetzlichen Renten- versicherung, die in Deutschland traditio- nell eine größere Rolle spielt, nicht ein. Gemeinsames Ergebnis ist aber, dass die Deutschen nur ein relativ geringes Fi- nanzvermögen haben. Auch wenn zwei Weltkriege das hiesige Vermögen massiv zerstört haben, liegt ein entscheidender Grund dafür woanders: Das Geld wird schlichtweg falsch angelegt. Trotz Mikrozinsen halten die Deut- schen beharrlich an Sparbüchern sowie Tages- und Festgeldern fest und bleiben vom Aktienmarkt und damit von einer Be- teiligung am Produktivvermögen der Volkswirtschaft fern. Dies gilt im beson- deren Maß für Jüngere und für Menschen mit niedrigeren Bildungsabschlüssen. Sparen gilt gerade in Deutschland als Tugend, und die Vermögensbildung er- folgt im Vergleich zu anderen Ländern zu wesentlichen Teilen aus Erwerbseinkom- men und nicht aus Erträgen von Finanz- anlagen. Das bedeutet für die meisten Haushalte einen Verzicht auf mögliche Vermögenszuwächse. Gerade langfristig kann dies entscheidend für den individu- ellen Lebensstandard sein. Die bedeutsa- men gesellschaftlichen Implikationen liegen auf der Hand. Lässt sich das Anlageverhalten nur mit dem besonderen Bedürfnis nach Si- cherheit erklären, das den Deutschen ei- gen zu sein schein? Prof. Dr. Rolf von Lüde, Emeritus an der Universität Hamburg, hat sich inten- siv mit dem Geldanlageverhalten beschäf- tigt und Mehrgenerationeninterviews mit 30 Familien in Deutschland durchge- führt. Sein zentrales Fazit: „Das Finanz- verhalten wird vor allem unbewusst im familiären Zusammenhang erlernt. Die Familie gilt hier als Impulsgeber und emotionale Rückversicherung. Es bilden sich emotional verankerte Normen zum ,richtigen‘ Umgang mit Geld aus, die ohne nennenswerte Brüche von Genera- tion zu Generation tradiert werden.“ Das Problem: Die Verhaltensregeln und Glaubenssätze halten der aktuellen Realität oft nicht stand und führen zu fi- nanziellen Fehlentscheidungen. „Über Geld spricht man nicht“, „Geld verdirbt den Charakter“, „Aktien sind nur etwas für Zocker“, „Geld macht nicht glücklich“ – jedem dürften ähnliche Sätze einfallen, die einen sachlichen Umgang mit dem Thema Finanzen behindern. Vor diesem Hintergrund, so von Lüde, treten die Ren- diteerwartungen der Sparer gegenüber einem gesellschaftlich eingeübten und allgemein akzeptierten Verhaltensmuster der risikoaversen Geldanlage zurück. Das ist fatal, weil die Einkommen aus privater Ersparnis und Vorsorge ange- sichts eines sinkenden staatlichen Ren- tenniveaus künftig immer wichtiger wer- den. Dennoch sind über 70 Prozent der Bürger nicht bereit, ihren Gegenwarts- konsum zugunsten des Zukunftskon- sums einzuschränken. Die individuellen PROF. DR. ROLF VON LÜDE Universität Hamburg „Im familiären Zu- sammenhang bil- den sich emotional verankerte Normen zum ,richtigen‘ Umgang mit Geld aus, die ohne nen- nenswerte Brüche von Generation zu Generation tradiert werden.“

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